Eine Antwort auf Jeff Jarvis' Eurotechnopanic Vorwurf.
Eine Bitte: lasst uns diskutieren, ohne “Eurotechnopanic”-und “Antiprogress”-auszurufen!
Man muss sich für eine ordentliche Europa-Kritik schon die Mühe geben, zu differenzieren: zwischen politischem Säbelrasseln auf der einen Seite und der Nutzung bzw. Akzeptanz von Silicon Valley Gedankengut oder Dienstleistungen in Europa auf der anderen. Das Thema ist aus meiner Sicht vielschichtiger als man zunächst denkt. Alles über einen Kamm zu scheren bringt die Diskussion nicht weiter. Und was anfangs vielleicht als gut gemeinte Kritik gedacht war, wird schnell zur Glosse.
Ein erster Versuch, die verschiedenen Befindlichkeiten auseinander zu dröseln:
- Als Konsumenten sind wir Europäer doch schon ganz groß drin im Silicon Valley Geschäft. Google ist in vielen europäischen Märkten mit weitem Abstand die Suchmaschine erster Wahl. Wir vermieten und mieten unsere Wohnungen bei Airbnb. Klar- Facebook ist ganz groß auch in Europa wie fast überall auf der Welt.
Blurmany? Ja klar, da war mal was. Aber das interessiert heute doch keinen mehr. Und überhaupt: macht Google dadurch schlechtere Geschäfte? Glaube kaum. Ist der Google Maps Service in Deutschland dadurch schlechter? Merke ich nichts davon. Auswirkungen auf den Journalismus? Kann ich keine feststellen. Jeff, bitte schick mir da mal ein Beispiel, anhand dem Du Deine Sorge (“…how it could be used to hamper journalism.”) dahingehend belegen kannst. - Als Unternehmer sind viele Europäer, egal ob angestellt in Führungspositionen oder im Start-Up Bereich, schon so hypnotisiert von der Silicon Valley Denkweise wie Mogli von den wirren Augen der Schlange Kaa im Dschungelbuch. Natürlich gibt es auch einige Irrläufer, die “Angst vor Google haben” oder andere seltsamen Statements von sich geben. Es gibt auch Unternehmer, die reisen ins Silicon Valley, um sich inspirieren (oder infizieren?) zu lassen, dann nach Hause reisen und erstmal ihr gesamtes Geschäft umbürsten und nicht zu knapp Angestellte rausschmeissen. Dabei fällt es ihnen oft schwer, in Worte zu fassen, was genau sie da eigentlich im Silicon Valley gelernt oder verstanden haben- außer Effizienzsteigerung.
- Vielen Politikern fehlt heute noch das Verständnis und die Erfahrung im Umgang mit digitalen Themen. Vermutlich handelt es sich hierbei um ein Generationenproblem bzw. einen Übergangseffekt. Vielleicht haben schlicht auch zu wenige Menschen mit dem entsprechenden Fachwissen das Interesse, in die Politik zu gehen. In 10, 20, 30 Jahren werden Debatten um das Internet und digitale Themen mit Sicherheit auf einem anderen Niveau geführt werden können als heute.
Trotzdem, und das ist ja die Stärke demokratischer Debatten und Abstimmungsprozesse, muss eine Diskussion über die Chancen, Effekte und Risiken digitaler Wirtschaft auch heute schon möglich sein.
Ich bin der Meinung: Europa hat viel zu viel geistiges, kreatives und unternehmerisches Potenzial, um ausschließlich einer Denk- und Unternehmerschule aus den USA hinterherzulaufen. Damit sind wir ja noch nicht einmal erfolgreich. Und: Europäer sind nun mal kritische Geister. Das ist auch gut so.
Natürlich frage ich mich auch: woran hakt es denn eigentlich in Europa? Wo bleiben sie denn, die ganz großen digitalen Innovationen und Unternehmen? Und ganz konkret: was könnten wir anders machen? Wie können wir einen Weg für ein digitales Europa finden, der sich von der expansiven white-male Buddy-Mentalität aus dem Silicon Valley differenziert?
Hier sind einige erste Gedanken dazu, die ich in den nächsten Wochen und Monaten weiter verfolgen werde:
- Schluss mit dem Silicon Alley, Silicon Schmalley Gerede. Europa wird in der digitalen Welt nicht erfolgreich werden, solange es ausschließlich einem fremden Kulturbild hinterher rennt.
- Der Silicon Valley Führungsrige fehlt es offensichtlich an ethischem und moralischem Verständnis. Europa braucht deshalb ein anderes Unternehmer Rollenbild.
- Der Gedanke des nachhaltigen Wirtschaftens ist in Europa hingegen sehr stark verwurzelt. Hier liegt eine Stärke, die in den digitalen Märkten bisher kaum eingesetzt wird. Was gibt es außer dem Hockey-Stick Wachstum? Tipp: eine ganze Menge.
- EU Investitionsprogramme müssen konkreter ein eigenständiges Verständnis von nachhaltiger digitaler Wirtschaft fördern.
- Unternehmertum muss in deutschen Universitäten, nicht nur im technischen sondern auch im kreativen Bereich bereits im Studium stärker verankert werden.
- Wir brauchen weiter einen offen und konstruktiven Dialog mit den USA. Säbelrasseln, wie zuletzt rund um TTIP hilft weder Europa noch den USA. Dabei muss es möglich sein, auch kritisch und reflektiert europäische Positionen zu vertreten. Auch die USA leisten hier einen Beitrag dazu, in welcher Schärfe die Diskussion geführt wird.
Ich schätze Dich, Jeff Jarvis und Deine manchmal natürlich auch provokante Art. Und ich würde mich freuen, wenn wir diese Diskussion von den “Antiprogress” und “Eurotechnopanic”-Schlagworten hin zu einer sachlicheren Argumentation führen würden. Gerne auch wieder in der Sauna. Oder einer Bar.
Herzlich,
Matthias